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Wie formuliere ich ein gutes Problem Statement?

anforderungen discovery May 30, 2023
 

Du kennst bestimmt diesen berühmten Spruch von Albert Einstein: Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, um ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten über das Problem nachdenken und 5 Minuten über die Lösung. Und ja - da steckt schon ein Körnchen Wahrheit drin. Die Frage ist nur: Wie kannst du über das Problem nachdenken? Wie kannst du dein Nachdenken systematisierten und wiederholbar machen? Genau um diese Fragestellung soll es in diesem Beitrag gehen.

Lass uns einen Blick auf das sogenannte Problem Statement werfen. Was genau ist eigentlich ein Problem? Auf einer abstrakten Ebene haben wir eigentlich immer einen IST-Zustand und und einen SOLL-Zustand. Dazwischen ist eine Lücke, Englisch gap. Genau diese Lücke meine ich, die Differenz zwischen IST und SOLL. Die Lücke kann klein sein oder groß. Ich kann von einem eigentlich erreichten Soll-Zustand einzelne Ausreißer nach unten haben, dann ist es eher ein Problem. Oder ich befinde mich in einem stabilen Ist-Zustand, will aber etwas verbessern und den Soll-Zustand erreichen, dann ist dies eher eine Chance. Im Endeffekt sprechen wir immer über eine Differenz zwischen IST und SOLL.

Du wirst feststellen, dass die meisten Menschen echte Schwierigkeiten haben, das Problem (oder die Chance) präzise zu beschreiben. Du wirst auch feststellen, dass die meisten Menschen echte Schwierigkeiten haben, das zukünftige Soll präzise zu beschreiben. Es ist für uns aber unheimlich wichtig, sowohl das Problem als auch den Zielzustand genau zu kennen - sonst wissen wir ja nicht, wann wir fertig sind - wann wir die Lücke geschlossen haben.

Hierbei soll das Problem Statement helfen. Es ist quasi eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, sowohl den Ist-Zustand als auch den Soll-Zustand präzise zu definieren und daraus die Lücke, also das Problem bzw. die Chance, abzuleiten.

Was passiert?

Wie oft passiert es?

Wie schlimm ist es? Was ist die Auswirkung auf Prozesszeiten, Kosten, Umsatz, Qualität, Reputation, Produktivität, Regulatorik usw.

Wen betrifft es?

Wann tritt es auf? Seit wann tritt es auf? Bis wann muss es gelöst sein?

Wie ist es bemerkbar?

Diese Fragen einmal für die Ist-Situation und einmal für die Soll-Situation durchgehen, schon hast du eine recht gute Einschätzung des Problems bzw. der Chance.

Lass mich diese Methode an einem Beispiel erläutern. Nehmen wir an, wir arbeiten für einen Kamerahersteller und wollen die Supportkosten für die Inbetriebnahme senken. Los geht’s mit der IST-Situation.

Was passiert?

  • Kunden rufen im Call Center an, um eine neue Kamera gemeinsam mit dem Support in Betrieb zu nehmen
  • Die Inbetriebnahme dauert ca. 15 Minuten für eine Einsteiger-Kamera und ca. 20 Minuten für ein Profi Modell

Wie oft passiert es?

  • derzeit werden im Durchschnitt 2000 Inbetriebnahmen pro Tag durchgeführt
  • das sind ca. 70% der verkauften Kameras
  • 60% der Anrufe entfallen auf das Profimodell, Tendenz stark sinkend

Wie schlimm ist es?

  • 2000 Inbetriebnahmen pro Tag * 40% für Einstiegsmodell * 15 Minuten = 200h pro Tag, also 25 Mitarbeiter
  • Bei einem Jahresgehalt von 15.000 EUR entspricht das 375.000 pro Jahr
  • Tendenz steigend

Wen betrifft es?

  • call center Mitarbeiter
  • Kunden

Wann tritt es auf? Seit wann tritt es auf?

  • Situation war schon immer so
  • verstärkt seit der Einführung der Einsteigerkamera

Wie ist es bemerkbar?

  • Anzahl Anrufe
  • Rekrutierung neuer Mitarbeiter für Call Center
  • Back-Up-Kapazitäten extern eingekauft
  • Dauer in der Warteschlange in der Zeit von 17:00 - 22:00 Uhr beträgt durchschnittlich 9 Minuten

Nun kommen wir zur Soll-Situation. In diesem Fall handelt es sich um eine Chance - die Ist-Situation ist der aktuelle Normalfall, den wir verbessern wollen. Wir stellen wieder die gleichen Fragen:

Was soll passieren?

  • Kunden des Einsteigermodells rufen nicht im Call Center an, um eine neue Kamera gemeinsam mit dem Support in Betrieb zu nehmen

Wie oft soll es passieren?

  • jede Inbetriebnahme des Einsteigermodells soll ohne den Support durchgeführt werden

Wie schlimm ist es, hier eher: wie groß ist die Chance?

  • 375.000 € pro Jahr, Tendenz steigend
  • über 5 Jahre: 1.875.000 €

Wen betrifft es?

  • call center Mitarbeiter
  • Kunden

Wann tritt es auf? Seit wann tritt es auf? Bis wann muss oder sollte es gelöst sein?

  • Reduzierung so schnell wie möglich, um Back-Up-Kapazitäten zu streichen und Warteschlange zu reduzieren

Wie merken wir, dass wir fertig sind?

  • Keine Anrufe zur Einrichtung des neuen Modells
  • Keine Back-Up-Kapazitäten extern eingekauft
  • Dauer in der Warteschlange in der Zeit von 17:00 - 22:00 Uhr beträgt durchschnittlich 1 Minute

Du merkst, dass dieser Kontext zur Ist- und zur Soll-Situation unheimlich hilfreich ist, um die „Lücke“ besser zu verstehen. Auch beim Vergleich von Problemen und Chance ist ein derartiges Verständnis unheimlich hilfreich.

Diese Methode ist einerseits recht simpel. Es sind ja nur 6 Fragen. Andererseits liegt die Antwort auf diese Fragen üblicherweise nicht auf dem Silbertablett. Hier musst du recherchieren, analysieren, Gespräche führen, Ergebnisse konsolidieren. Genau diese Arbeit ist zentraler Bestandteil deiner Arbeit als Product Owner.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis zur Anwendung: Diese Methode ist kein Kochrezept, an das du dich sklavisch halten solltest. Du hast eine Menge Gestaltungsspielraum. Insofern: Hirn anschalten und die Methode so nutzen, wie es in der jeweiligen Situation opportun ist. Das Ziel ist nicht die perfekte Anwendung der Methode. Das Ziel ist eine gute Beschreibung des Problems oder der Chance.

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